Von Axel Brüggemann
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Musik ist immer auch ein Gratmesser dafür, wie sich eine Gesellschaft wandelt. Das liegt in der Natur der Sache. Musik ist nämlich eine Kunst mit zwei unterschiedlichen Schöpfungsakten: Zum einen die Noten wie Bach, Mozart, Beethoven und Co. sie notiert haben. Sie sind an sich stumme Zeugen ihrer Zeit, Tintenflecke auf dem Papier, die erst in einer zweiten Schöpfung zum Leben erweckt werden, wenn jemand aus unserer Zeit sie spielt. Der erste Schöpfungsakt verrät viel über die Vergangenheit, über die Welt, wie sie zur Zeit der Komponisten war, aber auch über zeitlose Fragen nach Liebe, Hass, Leid und Hoffnung. Der zweite Schöpfungsakt, den wir als Konzertbesucher jeden Abend live verfolgen, ist die aktuelle Interpretation dieser Werte. Musik verbindet also stets das Vergangene mit dem Heute. Ein Spannungsfeld, das uns unweigerlich den Wandel der Zeit vor Augen führt.
Natürlich klingt eine Beethoven-Symphonie, die von Furtwängler dirigiert wurde, anders als eine von Karajan – und die wiederum unterscheidet sich erheblich von einer Interpretation durch Daniel Barenboim oder Kirill Petrenko.
Aber nicht nur die Interpretation, sondern auch das Musikgeschäft befindet sich in einem ständigen Wandel. Als der Beginn der Konzertgesellschaft München am 15. Juli 1987 mit einem Festkonzert im Kirchensaal des Bayerischen Nationalmuseums gefeiert wurde, waren Helmut Pauli und Johann Georg Prinz zu Hohenzollern Pioniere. Ihre Mission war es, private Verantwortung für die Förderung der Musik zu übernehmen. Das war revolutionär, denn noch waren die Ausläufer der „goldenen Ära der Klassik“ zu spüren und staatliche Subventionen für Orchester und Opernhäuser schienen sicher. Private Mäzene und bürgerliches Engagement wurden eher skeptisch betrachtet.
Heute, 30 Jahre später, sieht die Sache anders aus. In den letzten 30 Jahren hat sich die öffentliche Hand immer weiter aus der Förderung der Musik zurückgezogen. Das manifestiert sich in zahlreichen Schließungen und Fusionen von Orchestern, nicht nur in den neuen Bundesländern. Ein großer Teil der Subventionspolitik erwartet von Ensembles volle Häuser und gleichzeitig mutige Experimente – also die Quadratur des Kreises. Vor allen Dingen aber offenbart sich der Rückzug der Öffentlichen Hand in der Bildung und der Nachwuchsförderung. An vielen deutschen Schulen ist Musik zum „Kaugummifach“ verkommen, Musikhochschulen müssen sparen, Orchesterstellen sind selten, und das gute alte Ensembletheater ist auf ein Minimum geschrumpft. Die neue Philosophie geht ungefähr so: Deutschland braucht Mathematiker und Physiker, deshalb werden Sport- und Musikunterricht vernachlässigt und mehr Mathe und Physik angeboten.
Diese Politik ist ein Irrweg. Länder wie Finnland, die in den PISA-Studien vorne liegen, setzen bewusst auf musische Fächer. Hier ist klar, dass ein Staat, der Sport und Musik fördert, immer auch die Bewegung (Rhythmus!), die soziale Kompetenz (Zuhören!), mathematisches Gespür (Kompositionstechnik!) und Gemeinsinn (miteinander an einem Ziel arbeiten!) fördert. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Länder, die den Musikunterricht ernst nehmen, auch die mathematische, physikalische, aber auch soziale und gemeinsinnliche Begabung ihrer Kinder fördern.
Heute wird für die Förderung von Jugendlichen und für jede mutige Idee an Theatern und in Orchestern stillschweigend auf bürgerliches Engagement, auf Mäzene und Sponsoren gesetzt. Und die sind oft bereit, Gutes zu tun: Die Elbphilharmonie in Hamburg wäre ohne bürgerliche Unterstützung nie gebaut worden, ein Großteil der Orchester würde ohne Mäzene und Freundeskreise kaum noch existieren – und ohne privates Förderengagement würden das kulturelle Leben und die Nachwuchsförderung in Bayern anders aussehen.
Helmut Pauli und sein leider 2016 verstorbener Wegbegleiter in der Musikförderung, Dr. Johann Georg Prinz von Hohenzollern, haben diese Entwicklung bereits vor 30 Jahren vorausgesehen. Aber selten war ihr Engagement so wichtig wie heute: Sie haben sich der Förderung von Musik verschrieben. Der von Helmut Pauli und dem Bayerischen Staatsintendanten Prof. August Everding ins Leben gerufene August-Everding-Musikwettbewerb ist ein lebendiges Zeichen eines wichtigen bürgerlichem Engagements. Über 100 junge und hochtalentierte Musiker wurden in diesem Wettbewerb in den letzten 30 Jahren mit Preisgeldern ausgezeichnet und konnten für ihre Karriere auf ein großes Netzwerk zurückgreifen. Die Münchner Bach-Konzerte werden ebenso weiterhin gefördert wie die Musik im Originalklang. Das Vereinsmitglied Johannes Burges, der die legendären Münchener Bach-Konzerte seit Jahren fördert, ist ein Visionär. Denn die geistliche Musik eines Bachs steht für unser europäisches Musikerbe schlechthin.
Und natürlich stellt der in 2018 von Helmut Pauli, Prof. Dr. Büchelhofer und Felix Regehr neu gegründete Münchener Konzertverein Klassik und Jazz in den öffentlichen Raum, unter anderem durch die Odeonkonzerte der Hochschule für Musik & Theater München, das Jazzprojekt „Feindsender“ und durch Kooperationen mit bayerischen Musikhochschulen und Gymnasien.
Die Tradition bürgerlichen Engagements ist nicht neu in der klassischen Musik. Mozart überlebte hauptsächlich, weil er seine Werke als Abonnements für das Bürgertum angeboten hat, Beethovens Musik war immer auch eine Antwort des erstarkten Bürgertums auf die alten Privilegien des Adels. Das Bürgertum gab Musik in Auftrag, die größer, neuer, länger, opulenter sein sollte als das, was am Hof gespielt wurde. Nur so konnte Beethoven die Symphonie und die Kammermusik revolutionieren.
Helmut Pauli und Dr. Johann Georg Prinz von Hohenzollern waren schon vor 30 Jahren Vordenker. Jedes bürgerliche Engagement für die Kultur stellt die Bedeutung der Kultur in unserer Gesellschaft unter Beweis. Jede private Initiative leistet einen Beitrag zum Diskurs, was wir als Gesellschaft von der Kultur erwarten, welche Anforderungen wir an sie haben und welchen Nutzen. Aber – und das ist der derzeitigen Situation besonders wichtig – bürgerliches Engagement darf und will den Staat nicht aus der Verantwortung entlassen.
Gemeinnützige Vereine wie der noch junge Münchener Konzertverein sind deshalb wichtig, weil sie die kulturelle Grundversorgung des Staates bereichern, weil sie Netzwerke schaffen, für die Bedeutung von Kunst und Kultur in der Öffentlichkeit werben und die musikalische Spitze fördern. Es wäre ein Missverständnis, dieses Engagement als Ersatz zur staatlichen Förderung zu verstehen. Das Gegenteil ist der Fall: Wenn wir die Strukturen unseres Musikbetriebes analysieren wie die Musik selber, als Entwicklung der Vergangenheit in die Gegenwart und weiter in die Zukunft, zeigen heute der Vorsitzende des Vorstandes Prof. Dr. Robert Büchelhofer und seine Vorstandskollegen Helmut Pauli und Felix Regehr, dass sie eine uralte Idee der bürgerlichen Kulturbeteiligung – gegen viele Widerstände – reaktiviert haben und heute eine der wichtigsten Mahnerinnen dafür sind, dass die Kultur in einer Stadt wie München, in einem Bundesland wie Bayern und in einer Nation wie Deutschland tief verankert ist. Dass Kultur eine Grundlage unseres Gemeinwesens war, ist und sein wird, und dass die Bürger bereit sind, diesen Glauben mitzutragen und dafür immer auch die Politik in die Verantwortung nehmen werden.
Axel Brüggemann ist Musikjournalist, Buchautor und Moderator. Nach seiner Zeit als Musikredakteur und Textchef bei der Welt am Sonntag, arbeitete er für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Heute ist er hauptsächlich für das Fernsehen aktiv, dreht Musik-Dokus für ZDF, arte, 3Sat und Sky und moderiert für das Fernsehen Opern- und Konzertabende, unter anderem mit der Staatskapelle Dresden und bei den Bayreuther Festspielen. Brüggemann hat zahlreiche Bücher über Komponisten und Musik geschrieben.