So, 30.06.2024 | 11:00 Uhr
Allerheiligen-Hofkirche der Residenz

6. Odeon Konzert

„CLASSIC MEETS JAZZ“
Kritik

Vorschau von Crescendo:

Verfemt – verfolgt – vertrieben

Mit Werken von Paul Ben-Haim, Edison Denisov, Arsen Babajanyan u.a. findet unter dem Motto »Varieté« am 21. Mai 2023 in der Allerheiligen Hofkirche der Münchner Residenz das Saison-Abschlusskonzert der Odeon-Reihe statt.

„Ich bin nicht Russe, obwohl Russisch meine Mutter­sprache ist… Aber die eigent­liche Mutter­sprache war wiederum das halb­ver­ges­sene und halb falsche Deutsch der Wolga­deut­schen. Dann hatte ich noch das Problem, dass ich zur Hälfte Jude bin, obwohl ich Jiddisch über­haupt nicht beherr­sche. Also gehöre ich zu niemandem: weder zu den Russen, noch zu den Deut­schen aller Art, noch zu den Juden. Ich habe kein Land, ich habe keinen Platz… Wenn ich jetzt irgend­wohin emigrierte, blieben mir doch alle Probleme“, suchte der Kompo­nist Alfred Schnittke seine Iden­tität zu beschreiben. Seine Suite im alten Stil, eine Folge stili­sierter Barock­tänze, aus dem Jahr 1972 eröffnet das Odeon-Abschluss­kon­zert der Saison 2022/2023.

In der Reihe der Odeon Konzerte musi­zieren Studie­rende der Meis­ter­klassen mit ihren Profes­soren und promi­nenten Gästen. Zu den Ausfüh­renden gehören die Saxo­fo­nisten Márton Bubreg, Rocco Ceraolo, Nikolai Kushnir, João Marinho, Andrej Omejc, Anna-Marie Schäfer, José Sousa, Alina Weiss, Zihao Wang und Laura Pollinger aus der Meis­ter­klasse des Saxo­fo­nisten Koryun Asatryan, der Pianist Ingo Quast, der Cemba­list Tung-Han Hu, der Klari­net­tist Luka Gantar, der Schlag­zeuger Davide Lovato und der Kontra­bas­sist Anton Kammer­meier. Die Leitung der Matinée haben Johannes Ober­meier und Armando Merino inne. Veran­staltet wird die Reihe seit 2006 von EURO­PA­MU­SI­CALE, dem Münchener Konzert­verein und der Hoch­schule für Musik und Theater München. Auf dem Programm stehen selten gespielte Werke der Kammer­musik in unge­wöhn­li­chen Beset­zungen sowie verfemte Musik verfolgter, vertrie­bener und ermor­deter Kompo­nisten der NS-Zeit.

Die fünf Mati­neen der Reihe waren dem Kompo­nisten Paul Ben-Haim gewidmet. Er wurde 1897 als Paul Fran­ken­berger in München geboren, studierte an der Akademie für Tonkunst und war Assis­tent von Bruno Walter und Hans Knap­perts­busch. 1924 wurde er Chor­leiter und Kapell­meister in Augs­burg, bis man ihn 1931 vom Dienst suspen­dierte. Er kehrte nach München zurück und wirkte als Liebe­gleiter und Kompo­nist. 1933 emigrierte er nach Paläs­tina, wo er den Namen Paul Ben-Haim annahm. In Tel Aviv lernte er die Sängerin Bracha Zefira kennen und durch sie die jüdi­sche und arabi­sche Musik, die fortan die Melodik und Rhythmik seiner Kompo­si­tionen beein­flusste. Er schrieb Sinfo­nien, Sonaten und Konzerte sowie litur­gi­sche Werke und Lieder und wurde nach 1945 einer der bekann­testen Kompo­nisten Israels, wo er 948 starb. In der Abschluss­ma­tinee erklingt von ihm die Pasto­rale Variée op. 31b aus dem Jahr 1945. Mit ihr erfüllt er sich seinen Wunsch, einen neuen, seine Umge­bung wider­spie­gelnden Stil zu schaffen. In den farben­frohen Varia­tionen verbindet er west­eu­ro­päi­sche und orien­ta­li­sche Tradi­tionen.

Das Programm steht unter dem Motto „Varieté“, und eben­falls zu hören gibt es Jazz­kom­po­si­tionen von Dmitri Schost­a­ko­witsch und Leonard Bern­stein sowie Poiema V für acht Saxo­fone, Klavier und Schlag­zeug von Arsen Baba­janyan. Er stammt aus Jerewan und lebt seit seinem Studium an der Musik-Hoch­schule in München. Aus dem sibi­ri­schen Tomsk stammte der Kompo­nist Edison Denisov. In seiner Sonate aus dem Jahr 1960 lotet er die Flöte in ihrer vollen Höhe und Tiefe aus, wie er auch extreme dyna­mi­sche Gegen­sätze verar­beitet.

Zur Auffüh­rung kommen aber auch Arran­ge­ments der Gesänge Maria, mater gratiae und O vos omnes von Carlo Gesu­aldo. Der Fürst von Venosa ist als Kompo­nist ebenso berühmt wie als Mörder seiner Ehefrau und ihres Geliebten in flagrante delicto. Seine geist­li­chen Kompo­si­tionen aller­dings blieben lange unbe­kannt. Bis zum 20. Jahr­hun­dert gab es als einzigen Hinweis darauf nur einen Brief an den Herzog Alfonso, worin der Kompo­nist Alfonso Fonta­nelli berichtet, der Fürst habe eifrig geschrieben und außer mehreren Madri­galen eine Motette und eine Arie kompo­niert. Das fünf­stim­mige Maria, mater gratiae schrieb Gesu­aldo vermut­lich für den Gebrauch zum Fest der sieben Schmerzen Mariae, das unmit­telbar auf das Fest der Kreuz­erhö­hung am 14. September folgte. Und auch das alte Klage­lied O vos omnes, das im 16. Jahr­hun­dert häufige Verto­nungen erfuhr, wurde von Gesu­aldo wirkungs­voll bear­beitet. Wolf­gang Rihm gibt in der Gesu­aldo-Biografie von Glenn Watkins eine emotio­nale Beschrei­bung seiner Musik: „Gerade hat der Prin­cipe noch mit dem Dolch in Leichen gesto­chen, schon setzt er pein­volle, süßdunkle Kontra­punkte, die schönsten, die es gibt. Bestimmt war er grün im Gesicht, und gelb­licht. – Er bleibt ohne Beispiel.“

von Ruth Renée Reif

17. Mai 2023

Programm

Felix Mendelssohn Bartholdy
Auf Flügeln des Gesanges I Pagenlied  I Schilflied I Lied der Suleika I So schlaf` in Ruh
Neue Liebe I Frage I Der Blumenstrauss I Minnelied I Es weiß und rät`es doch keiner
Morgengruss I Allnächtlich im Traume
Paul Ben-Haim 
Arioso aus:Three songs without words, Nr 1
Akara ( Rachel)
Ballade aus:Three songs without words, Nr 2
Ani Chavatselet Hasharon (Song of songs)
Shepardic melody aus: Three songs without words
Soojeong Ko Outside Window 
Haegeum, Violine, Klavier
Soojeong Ko Jeoknyeom 
Haegeum, Klavier
Tizian Jost United in The Big Blue
Haegeum, Violine, Klavier
Gregor Hübner Chanson pour le Senegal
Haegeum, Violine, Klavier
Gregor Hübner Bartók Impressions
Duett für Haegeum und Violine
Luiz Bonfá Black Orpheus
Haegeum, Violine, Klavier